BVP Newsletter 11-2015

Liebe Mitglieder,

Ich möchte Sie darüber informieren, dass aktuell jetzt sowohl die S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von TVT und LE als auch die Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE) fertiggestellt und bei der AWMF unter folgenden Links abrufbar sind:

http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/065-002.htmll     (TVT Diagnostik und Therapie)

http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/003-001.html       (TVT Prophylaxe)

Vor allem die LL zur Diagnostik und Therapie von TVT und LE stellt einen großen Fortschritt dar, weil erstmals 24 Fachgesellschaften beteiligt waren, u.a. auch die Dt. Ges. für Allgemeinmedizin, deren Akzeptanz sehr wichtig ist für die Verbreitung der Leitlinie.

Wir haben auch beim Welt-Thrombosetag eindrücklich darauf hin gewiesen, wie wichtig die rechtzeitige Diagnosestellung bei Verdacht auf TVT ist und haben auf die Notwendigkeit einer verbesserten Vorselektion durch Anwendung des Wells-Score in Kombination mit der D-Dimer-Testung hingewiesen. Letztere muss in Zukunft unbedingt kostendeckend vergütet werden.

In diese Fragestellung fällt aktuell auch eine Presseaktion bezüglich verspäteter Diagnosestellung von Thrombosen bei jungen Frauen unter Pilleneinnahme. Letzte Woche hat Stern TV darüber berichtet, ansehbar unter: http://www.nowtv.de/rtl/stern-tv/list/aktuell/thema-ua-auf-schnaeppchenjagd/player

Es könnte sein, dass ihre jungen Patientinnen sie deswegen in der nächsten Zeit ansprechen. Ich bin diesbezüglich vom Berufsverband der Gynäkologen angesprochen worden und habe folgenden Pressetext dazu mit verfasst:

Pressemitteilung des Berufsverbandes der Frauenärzte an die medizinische Fachpresse
ENTWURF

Diagnostik bei Thromboseverdacht - Frauenärzte schlagen Alarm
 
Es ist richtig, dass durch die Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva das Thrombose-Risiko erhöht wird. Tiefe Venenthrombosen sind allerdings, frühzeitig erkannt, in den meisten Fällen eine beherrschbare Komplikation. Die zahlreichen Krankenberichte junger Frauen, die derzeit in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden, zeigen, dass es zusätzlich zu den patientenseitigen Risiken - Einnahme einer Östrogen-haltigen Pille, Übergewicht, Rauchen, Infektionen, Operationen, Bettlägerigkeit, lange Flugreisen etc - ein weiteres Risiko gibt, nämlich das der unsicheren Diagnose. Viele der jungen Frauen (siehe Reportagen auf ARD, ZDF, SternTV) berichten, dass sie mit ihren typischen Beschwerden mehrfach in ärztlicher Behandlung waren, dass aber entweder die Verdachtsdiagnose VTE bzw. Lungenembolie nicht gestellt wurde, oder dass die Diagnostik mittels Labor und bildgebenden Verfahren ergebnislos blieb, bis sich teilweise kurz darauf dramatische Verläufe entwickelten.
 
Wir gehen davon aus, dass Thrombosen in den allermeisten Fällen frühzeitig erkannt und behandelt werden, zumal anders als im angloamerikanischen Raum in Deutschland auch die tiefe Venenthrombose der Unterschenkel als therapiebedürftig angesehen wird. Folgende Symptome deuten auf Thrombosen hin, sowohl als Einzelbeschwerden als auch in Kombination:
 
Unterschenkel bzw. Unterarme
Schmerzhaftigkeit in der Tiefe, meist einseitig, oft wie Muskelkater, -krampf oder -zerrung
Spannungsgefühl
Zunahme des Umfangs im Vergleich zur nicht betroffenen Seite
gelegentlich livide Verfärbung
 
Oberschenkel bzw. Oberarme
dumpfe Schmerzen in der Kniekehle bzw. Ellbogen und an der Innenseite der Oberschenkel bzw. Oberarme
häufig strangartig entlang der Muskelverläufe (DD Muskelzerrung)
Zunahme des Umfangs im Vergleich zur nicht betroffenen Seite
 
Leistenbeuge
dumpfe Schmerzen in der Leistenbeuge, keine Verstärkung bei Husten
 
Lungenembolie
auffällige Abnahme der Belastungsfähigkeit (ohne Temperaturerhöhung)
Kreislaufrelevante Symptomatik mit Pulsanstieg und Blutdruckabfall
 
 Die  Verdachts-Diagnose der tiefen Venenthrombose wird primär klinisch und nach der Anamnese gestellt. Die rein klinische Untersuchung ist nicht ausreichend und die Symptomatik sollte nach dem Wells-Score auf geringe oder erhöhte klinische Wahrscheinlichkeit eingestuft werden. Bei niedriger klinischer wahrscheinlichkeit ist zusätzlich der D-Dimer-Schnelltest in der Diagnostik des akuten thrombotischen Geschehens hilfreich; bei jungen Frauen hat er eine realistische rechnerische Übersehensquote von nur 1,6% für die isolierte US-Thrombose. Aber wenn die Thrombose bereits länger besteht, die Gerinnungsaktivierung ausgebrannt ist und sich keine Fibrinogen-Spaltprodukte mehr im Blut befinden, wird der Test wieder negativ. Deshalb empfiehlt die vor kurzem aktualisierte S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der TVT, bei einem deutlich klinisch prolongiertem Verdacht auf eine tiefe Venenthrombose auch bei negativem D-Dimer-Test sicherheitshalber einen Kompressionsultraschall zu machen. Wenn nicht innerhalb von 24 Stunden ein Kompressions-Ultraschall durchgeführt werden kann, dann sollte bei erhöhter klinischer Wahrscheinlichkeit schon mit einer therapeutischen Antikoagulation begonnen werden und die Diagnostik schnellstmöglich nachgeholt werden.
 
In der Bildgebung ist zum Nachweis der tiefen Venenthrombose der Kompressions-Ultraschall das Verfahren der Wahl; die Duplex-Sonographie wird nur für die Diagnostik der Beckenstrombahn empfohlen.
 
Was die Diagnostik der Lungenembolie angeht, so ist diese schwere Komplikation nicht durch Auskultation festzustellen. Bei reduzierter körperlicher Belastbarkeit, Luftnot, Tachypnoe, Tachykardie und Blutdruckabfall ohne Anstieg der Körpertemperatur sollte die Verdachtsdiagnose gestellt und eine hochauflösende Computertomographie veranlasst werden, möglichst als Multidetektor-CT, um eine Embolisierung der Lungengefäße auszuschließen.
 
Tiefe Venenthrombosen sind bei jungen Frauen ein extrem seltenes Ereignis; die Wahrscheinlichkeit beträgt 2-4/10.000/Jahr bei einer 20jährigen, schlanken Nichtraucherin, die keine hormonellen Verhütungsmethoden anwendet.  Auch bei Verwendung moderner kombinierter Verhütung steigt das Risiko nur auf 9-12/10.000/Jahr; die Problematik wird allerdings erheblich aggraviert durch Rauchen, Infekte, Bettlägerigkeit, Operationen, Übergewicht. Alle Ärztinnen und Ärzte, die kombinierte hormonelle Verhütungsmittel verordnen, sind nach dem Rote-Hand-Brief des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gehalten, eine entsprechende Risikoaufklärung vor allem bei der Erstverordnung durchzuführen. Eine frühzeitige Diagnostik und Therapie thrombotischer Erkrankungen überall dort, wo die jungen Frauen sich mit ihren Beschwerden hinwenden, könnte zusätzlich dazu beitragen, die Gesundheit und das Leben der jungen Frauen zu erhalten.
 
Wie kompliziert die Materie ist, soll Ihnen folgender ergänzender Schriftwechsel zu dieser Stellungnahme zeigen:

Gynäkologen: Das Problem, das wir bei den jungen Frauen mit Estradiol-haltigen Kontrazeptiva haben, ist das, dass sie als junge, schlanke, nicht bettlägerige, nicht frisch operierte Frauen normalerweise nur einen Wells-Score von 1-2 haben, wenn sie erste Symptome einer Thrombose bekommen, oftmals nur Schmerzen in der Wade und eventuell eine leichte Umfangsdifferenz von weniger als 3 cm, nichts sonst. Der Wells-Score berücksichtigt Antikonzeptiva als Risiko für eine Gerinnungsaktivierung nicht.
 
Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb Thrombosen bei jungen Frauen manchmal erst nach längerer Zeit diagnostiziert werden?

Meine Antwort:

Sie haben im Grunde recht und wir haben letzte Woche im Kreis von Thrombosespezialisten gerade auch sehr heftig darüber diskutiert, dass die Einnahme der Pille wie auch die Hormonersatztherapie bei älteren Frauen
in keinem der Risikoscores berücksichtigt sind. Das erschließt sich auf den ersten Blick nicht, hängt aber damit zusammen, dass in den Studienpopulationen wie auch im aktuellen Score der deutschen Hausärzte und auch vor wenigen Jahren in einem niederländischen Score (nach Bueller) dies nicht zur Risikodiskreminierung beigetragen hat. Insofern kann man diese Frage zwar im Hinterkopf haben, aber nicht wirklich zur Risikoerfassung einsetzen.
Darüber hinaus müsste man dann das mögliche Risiko nach der eingenommenen "Pillengeneration" differenzieren - sicherlich auch wieder nur sinnvoll für den "Hinterkopf".

Das alles sind wissenschaftlich aber nur Spekulationen und ich würde nicht darauf eingehen. Die fehlende Berücksichtigung der Pille als Risiko stellt eigentlich auch kein Problem dar, wenn man das gesamte Konstrukt für die Diagnostik beachtet:
wenn ein niedriges Risiko vorliegt <= 1, dann soll ja eben ein D-Dimer-Test gemacht werden, der dann ja die frische Thrombose erkennen lässt, indem er pathologisch wäre. Auf den sicher eher seltenen Fall der verschleppten Diagnose wurde ja eingegangen. Diese Situation bekommt man in keinem Algorithmus geregelt und es ist ärztliche "Entscheidung", sich in einer solchen Situation unsicher zu fühlen und auf eine Sonographie zu drängen - lieber einmal zu viel als zu wenig.

Also: wissenschaftlich kann man an den Scores nichts ändern, der letzte Satz zur Anamnese ist aber dennoch oder gerade dann wichtig.

Ich denke, dass Sie mit diesem Text für mögliche Diskussionen mit jungen Patientinnen gewappnet sein können.
 

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Horst Gerlach